Pferdeflüsterer, Gurus oder Horsemen(women)

Die Verhaltensforschung definiert Kommunikation mit Verständigung, Signalübertragung, Informationsaustausch. Ein Individuum beeinflusst durch Aussenden von Signalen das Verhalten eines anderen. "Kommunikation" mit Pferden ist z.Zt. ein vielbemühtes Wort. Wirkliche Kommunikation findet immer dann statt, wenn alle Beteiligten sowohl zuhören als auch sich auch klar und verständlich ausdrücken - und nur dann!

Mangelnde Kommunikation aus menschlicher Sicht...
Doch was erschwert Kommunikation oder verhindert sie im schlimmsten Fall? Einseitig geführte Monologe haben mit Kommunikation wenig zu tun. Auf uns Menschen wirken schlechte Zuhörer demotivierend und ermüdend. Auf der anderen Seite kennen wir die Schwierigkeit einem Gespräch zu folgen, das über unseren "Horizont" hinausgeht, das wir nicht verstehen und nicht nachvollziehen können. Dann lässt die Konzentration nach, unsere Aufmerksamkeit schweift ab. Auch wenn sich einer der Beteiligten schwer verständlich ausdrückt kommen Missverständnisse auf, wir reden aneinander vorbei, fühlen uns unverstanden, die Stimmung wird gereizt. Unsere Pferde reagieren auf "Regelverstöße" ähnlich.

... und ein Beispiel aus einem Pferde-Alltag
Leise "Anfragen" kommen bei einem Pferd, das gerade seinen Artgenossen auf der Koppel nachwiehert nicht an, das Interesse an einer Kommunikation liegt einseitig bei uns, es kommt kein Feedback vom Pferd. Nun scheiden sich die Geister, wie man die Aufmerksamkeit eines Pferdes bekommt und wie viel Raum für eigene Ideen man ihm gibt. Den Druck vermehren, bis es reagiert, dann nachlassen, belohnen? Die derzeitige Situation durch vermehrten Druck unangenehm machen? Das Pferd gar für die Unaufmerksamkeit strafen? Ihm noch einen Augenblick geben, von selbst seinen Menschen zu finden? Die Anfrage einfach noch mal wiederholen? Auf eine Alternative ausweichen, die uns für das Pferd interessanter als seinen Pferdekollegen macht?

Ohne gegenseitige Aufmerksamkeit geht also erst einmal gar nichts: Wir müssen uns bemerkbar machen. Aber auch das geht leise und ohne lautes "Geschrei". Dabei sollten wir nicht ausschließlich an Lautäußerungen in Form von Stimmkommandos denken. Stimmäußerungen finden bei Pferden in erster Linie zwischen Stuten und ihren Fohlen statt. Bei erwachsenen Pferden kommen sie meist zum Einsatz wenn optische Signale durch Hindernisse oder Entfernungen nicht verstanden werden können. Durch unseren eigenen Körper (Ausdruck und Haltung, Schnelligkeit und Art der Bewegungen) können wir uns den Pferden sehr gut mitteilen. Sie sind es gewohnt Körperhaltung und Ohrenspiel (größere Entfernungen) sowie den Ausdruck der Nüstern und der Maulpartie ihrer Artgenossen (aus der Nähe) zu "lesen" und verstehen auch uns "verkrüppelte Menschen" erstaunlich gut.

Die Bedeutungen dieser Ausdrucksweisen sollten uns unbedingt geläufig sein. Nur wenn der Mensch mit offenen Augen und Ohren mit seinem Pferd umgeht und dabei seine Gedanken bei seinem Tier hat, kann eine feine Verständigung zwischen beiden zustande kommen. Doch häufig tun wir genau das Gegenteil: Wir legen uns - mehr oder weniger bewusst und absichtlich - in vielen Dingen eine "dicke Haut" zu, um Unangenehmes nicht an uns heran zulassen und ignorieren es so lange es geht. Tun dies unsere Pferde schimpfen wir sie Dickschädel, Esel, teilnahmslose Schlaftablette oder Schlimmeres. Eigentlich leben Pferde nun aber dadurch, dass sie fein beobachten, agieren und reagieren. Wenn aber ständig unverständliche und / oder gegensätzliche Signale auf sie einstürmen reagieren sie auf Dauer ihrem Temperament entsprechend entweder desinteressiert, unsensibel und dickfällig oder übersensibel, ängstlich, übermäßig nach unangenehmen Situationen "vorausschauend", hektisch und damit in unseren Augen unkonzentriert.

Bekommen wir es mit wenn unsere Pferde mit uns flüstern? Durch die derzeitigen Flüster-Diskussionen stellen sich nun immer mehr (Pferde-)Menschen die Frage, warum sie mit ihren Pferden (oder ihre Pferde mit ihnen?!?) das eine oder andere Problem haben. Die Antwort können wir nur durch genaues Hinschauen finden. Und wir müssen umdenken. Müssen versuchen uns die Motivation von Pferden in bestimmten Situationen klarzumachen. Pferden geht es in erster Linie um die eigene Sicherheit und das eigene Wohlbefinden. Denken wir einfach mal darüber nach, wie oft (und wie nachdrücklich) Pferde uns gegenüber deutlich werden müssen. Wenn wir ihnen beim Putzen unsanft mit der Bürste über die Gelenke schrubben, beim Satteln während der Einatemphase ruckartig gurten, Stops oder enge Wendungen ohne Vorankündigung fordern. Weil wir mit den Gedanken woanders waren, uns mit Mitreitern unterhalten haben, plötzlich die unangenehme Auseinandersetzung mit unserem Chef durch unseren Kopf geschossen ist? An der Intensität der Beschwerden der Pferde lässt sich recht gut der "gute Ton" des Reiters ablesen. Viele Pferde haben schlechte Angewohnheiten weil die ihrer Menschen noch viel schrecklicher sind. Für den Menschen bedeutet dies das Fördern der eigenen Wahrnehmung gegenüber den Bedürfnissen, der Körpersprache und Ausdrucksform des Pferdes. Und vor allem: Den Kopf frei machen von allem, was nicht gerade in diesem Augenblick geschieht!

Sind beide aufeinander konzentriert können die Bewegungen immer feiner und die Kommandos leiser werden, so dass für den Zuschauer der Eindruck eines Flüstern aufkommt. Wer auf einem solch hohen Niveau mit seinem Pferd umgeht hat dem meist völlig faszinierten Zuschauer gegenüber nichts zu verbergen. Dann hat Flüstern nichts mit Heimlichkeiten oder Lügen zu tun. "Wer flüstert der lügt" ist und bleibt eine typisch menschliche Redewendung. Wenn man Menschen nach ihrer Definition von Flüstern in Bezug auf Pferde fragt, bekommt man Antworten wie leise, sanft, im Einvernehmen. Nur im zwischenmenschlichen Bereich kommen Begriffe hinzu wie verheimlichen, lästern, jemanden von etwas ausschließen wollen. Pferde lassen sich nicht belügen.

Es wurde und wird mit Pferden getanzt und gespielt, sie werden geprägt und getoucht und nun wird geflüstert. All dies kann Räume für ganz eigene, individuelle und phantastische Erlebnisse für Mensch und Pferd öffnen. Dann spielt es keine Rolle, ob die jeweiligen Schlagworte gerade durch die Presse und aller Reiter-Munde gehen. Dann spielen Ausrüstung, Outfit und Image keine Rolle. Dann wird unwichtig aus welcher Sparte der Reiterei die Namen dahinter kommen. Ausschlaggebend ist dann nur eines: Von guten Lehrern lernen Pferde so gerne wie Menschen.

Manchmal ist Skepsis angebracht. Aufpassen sollten wir wenn uns dieser Umgang als mystischer Zauber verkauft wird oder als Gabe, die nur sehr wenigen Menschen auf dieser Erde geschenkt wurde. Gerade wenn uns jemand suggerieren will, nur er könne uns und unserem Pferd "helfen" sollten wir noch einmal über Alternativen nachdenken. Verdächtig ist es auch, wenn es ohne eine ganz spezielle Ausrüstung angeblich so unendlich schwieriger ist oder überhaupt nur nach jahrzehntelanger Erfahrung erreichbar sein soll.

Wer den heißen Draht zu seinem Pferd wirklich sucht wird ihn finden.

Quelle (Cowboy's Lifestyle, März 1999)

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